18.09.2024 13:47
Die Bruderschaft einer alten, weltlichen Schule
Wenn man die zwei englischen Wörter des Vereinsnamens ins Deutsche übersetzt, erhält man «schräge Vögel» oder «komische Typen». Doch die Odd Fellows sind weder eine Fasnachtsclique noch Comedians, sondern ein weltlicher Orden, um den sich viele Sagen und Gerüchte ranken.
Region Wenn sich die Odd Fellows für die Zeitungsproduktion interessieren und der Redaktion einen Besuch abstatten, könnte manch einer meinen, hier werde die Weltherrschaft im Informationszeitalter geplant. Doch weit gefehlt! Denn solche Verschwörungstheoretiker machen sich selten die Mühe, eine Sache zu studieren, geschweige denn mit Involvierten zu sprechen. Höchste Zeit also, dass ein Journalist genau dies bei einer Loge tut.
Dass ein solcher Einstieg ins Thema alles andere als ungewöhnlich für den sagenumwobenen weltlichen Orden ist, wird im Gespräch mit Mattias Heinimann aus Arbon schnell in Erfahrung gebracht: «Wir reden jedoch viel lieber über das, was wir sind, als über das, was wir nicht sind.» Als Grossmarschall ist Mattias Heinimann Mitglied der nationalen Ordensleitung der Odd Fellows und weiss darum bestens Bescheid über die im 18. Jahrhundert in England entstandene Organisation.
Er sei vor 12 Jahren über einen Arbeitskollegen zu den Odd Fellows gestossen. Für ihn seien sowohl die Rituale als auch der gesellige Teil wichtig. Ihm sage jedoch vor allem zu, dass die Odd Fellows sich auf Augenhöhe begegnen: «Obwohl das Ordensverständnis ähnlich wie in einem kirchlichen Orden ist, wir uns Brüder und Schwestern nennen, sind wir nicht dogmatisch.» Diese Einschätzung wird auch von Heinz Leuenberger aus Erlen geteilt, dem Obermeister der in Amriswil beheimateten Henri-Dunant-Loge Nr. 25: «Wir fokussieren uns auf wichtige Themen und gehen in die Tiefe bei unseren Treffen. Doch unsere Gedanken sind grundsätzlich immer frei.»
Die Odd Fellows seien des Weiteren weder ein Geheimbund noch ein Service Club. Dies werde jedoch in der Öffentlichkeit oftmals nicht so wahrgenommen – was sicherlich teilweise auch selbstverschuldet sei, so Mattias Heinimann: «Im Vordergrund steht immer die Arbeit an uns selbst. Wir befassen uns vor allem mit ethischen und humanistischen Themen, hängen es jedoch nicht an die grosse Glocke.» Bei den Odd Fellows sei nichts geheim, doch die besondere Vertrautheit untereinander lasse wohl oft den Anschein erwecken, dass gewisse Dinge es in Tat und Wahrheit sind.
Bruderschaft der alten Schule
Um selbst etwas tiefer in die Materie zu tauchen, genügt ein Besuch der Webseite der Henri Dunant Loge. Zur Begrüssung gibt es dort nämlich keinen Small Talk, sondern Worte mit Inhalt: «Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, bedeutet, dass wir aufhören, anderen, den Umständen oder unserer Vergangenheit die Schuld für unsere Probleme zu geben. Es bedeutet, dass wir nicht unserem Partner, den Kindern, den Nachbarn, unserem Chef oder unseren Kollegen die Schuld geben, wenn wir gereizt, nervös oder unglücklich sind.» Diese negativen Denk- und Lebensweisen seien etwas, das wir uns selbst antun würden. Deshalb sei es auch nur uns selbst möglich, etwas an unserem Unglücklichsein zu ändern : «Solange wir andere für unsere Probleme verantwortlich machen, sehen wir keine Möglichkeit, etwas dazu beizutragen, dass sich unsere Lage ändert.»
Je tiefer man in die Webseite eintaucht, desto offensichtlicher wird der Umstand, dass es sich bei den Odd Fellows nicht nur um eine Bruderschaft der alten, sondern auch der philosophischen Schule handelt. Lebensweisheiten müssen hier nicht in jahrelanger Arbeit und intensivem Selbststudium gewonnen werden, sondern sind stets abrufbar. So zum Beispiel das gemeinsame Leitbild der Odd Fellows, das weltweite Verständigung, gegenseitigen Respekt und eigenständiges Denken in den Vordergrund stellt: «Odd Fellows haben die Vision einer weltweiten Verständigung zwischen Völkern und Kulturen. Sie engagieren sich für einen achtsamen Umgang miteinander. Dabei beginnen sie bewusst bei sich selbst.»
Dass solche tiefgründigen Themen und ritualisierte Diskussionen einen Einfluss auf die eigene Lebensführung haben können, scheint naheliegend. «Seit ich bei den Odd Fellows bin, sei ich viel ruhiger geworden, stellte meine Frau fest», erklärt Heinz Leuenberger. Und auch für Mattias Heinimann sind die alle zwei Wochen stattfindenden Treffen etwas Besonderes: «Wenn ich bei den Odd Fellows bin, ist die einzige Zeitspanne, während derer ich nicht erreichbar bin. Mein Handy bleibt ausgeschaltet.» Dies führe dazu, dass er durch seine Mitgliedschaft nicht nur ein Wertportfolio erhalte, sondern auch eine «Zeitinsel», eine Oase, in der der schnelllebige Alltag vergessen werden kann.
Die übriggebliebenen Gesellen
Woher genau die Bezeichnung Odd Fellows kommt, ist nicht genau bekannt. Eine Theorie besagt, dass die ursprünglichen Mitglieder keinen Platz mehr in den anderen Handwerkergilden gefunden hätten und sich deshalb Odd Fellows – die überzähligen oder übrig gebliebenen Gesellen – genannt hätten.
So macht es auch heute noch den Anschein, dass gewisse Odd Fellows tatsächlich «übriggebliebene Gesellen» sind. So zum Beispiel jene Mitglieder bei der Alpstein Loge Nr. 21 der Odd Fellows St.Gallen. Denn aufgrund des ausbleibenden Nachwuchses wird sie auf Ende Jahr nach knapp 90 Jahren ihren Betrieb einstellen.
Obwohl es wenige Austritte bei den Odd Fellows gebe, die nicht auf das Alter zurückzuführen seien, sei eine stattliche Anzahl an Lebensjahren keinesfalls etwas Negatives, so Mattias Heinimann: «Alter ist kein Nachteil bei den Themen, die wir bewirtschaften.»
Grund für den Besuch in der Redaktion in St.Gallen ist auch eine Odd Fellow, der durch eine stattliche Anzahl an Arbeitsjahren eine Institution der St.Galler Nachrichten geworden ist. Franz Welte ist nämlich nicht nur langjähriger Journalist bei der Schwesterzeitung der Oberthurgauer Nachrichten, sondern auch langjähriges Mitglied der Alpstein-Loge. Da diese Ende Jahr ihren Betrieb einstellt, Franz Welte jedoch durch und durch ein Odd Fellow ist, wird er sich danach der Thurgauer Henri-Dunant-Loge anschliessen: «Man kann immer bei einer Logeanklopfen. Und obwohl jede etwas anders ist, bleibt das grundsätzliche Werteverständnis immer ähnlich.»
Da die Räumlichkeiten einer Redaktion für keine Rituale ausser fürs «Rauslassen» von Kaffee oder Druckseiten geeignet sind, wurde ein Besuch der Henri-Dunant-Loge zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart. «Redaktoren sind bei uns immer willkommen», meinte einer der Brüder, als im Sitzungszimmer in der Redaktion in St.Gallen in Anschluss an die Führung über Gott und die Welt diskutiert wurde. Dies wohl nicht nur, um Vorurteile und Gerüchte aus der Welt zu schaffen, sondern auch um die ethischen und humanistischen Themen, die von den Odd Fellows behandelt werden, in die Welt hinaus zu tragen. Doch mehr dazu an gleicher Stelle zu einem späteren Zeitpunkt.
Von David A. Giger