18.09.2024 13:50
Guter Wein kann alles sein
Was ist ein guter Wein? Ist er schaumig, weiss, rot, rosé oder gar süss? Kommt er aus Italien, Spanien, der Schweiz, Frankreich oder aus Übersee? Fragen über Fragen, die nicht endgültig beantwortet werden können und wohl gerade darum die Fans des gegärten Traubensafts dazu anspornen, möglichst fundierte und überzeugende Antworten zu liefern.
Bischofszell Wer gerne das komplette Programm eines Anlasses auskostet, der musste letzten Donnerstagabend in der Kornhalle vor allem über eines verfügen: Trinkfestigkeit. Denn bei «Vini, Pasta e basta!» gab es sage und schreibe 77 Weine zu degustieren. «Eure Werkzeuge sind eure Gläser», instruierte Nicole Marbach die Gäste, die mit dem Konzept der Weindegustation noch nicht vertraut waren. Die Organisatorin des Anlasses und Geschäftsführerin von WeinErlebnis hat nicht nur viel Erfahrung mit Weinen, sondern auch mit Degustationen. Und diese seien besonders gut geeignet, um das Erlebnis mit und um Wein ihren Kund:innen näherzubringen: «Wer einen einfachen Einstieg in die Welt des Weines sucht, der geht am besten einmal an eine Degustation. Hier braucht man keine Hemmungen zu haben und kann einfach einmal probieren, was es alles auf dem Markt gibt.»
Vielfältiges Angebot
Wo genau die Vorzüge eines Gaumens liegen – eher bei Schaum-, Weiss-, Rot- oder Süsswein – müsse jeder Weintrinker selbst herausfinden. Oder in der Gruppe, was ebenfalls an einer Degustation gefördert werde, verrät Nicole Marbach: «Es ist spannend, wie Menschen an solchen Anlässen miteinander ins Gespräch kommen und anfangen über Wein zu reden.» Obwohl der individuelle Geschmack jeweils für die Bewertung eines Weines verantwortlich sei, gebe es doch ein paar Regeln, um einen Wein möglichst unverfälscht zu geniessen: «Weisswein oder Rosé sollten jeweils vor dem Rotwein getrunken werden, ansonsten wirken sie oft flacher, als sie es sind.»
Ein weiterer Tipp ist im Laufe des Abends auch ihrem Mann, Hannes Marbach, zu entlocken. Als Leiter des Verkaufs eines grossen Generalimporteurs von vielen Weinen aus der ganzen Welt ist Wein auch für ihn mehr als ein Hobby: «Ein Wein sollte vor dem Trinken immer noch etwas atmen. Darum sollte man eine Flasche mindestens zwei Stunden vorher öffnen oder den Wein sogar dekantieren.»
Hannes Marbach weiss auch, welche Weine von der Schweizer Bevölkerung am meisten getrunken werden. 38,5 Prozent der im Jahr 2023 konsumierten 235,9 Millionen Liter stamme aus dem Inland, ansonsten sei der Schweizer Markt sehr italienlastig: «Rund ein Drittel der importierten Weine kommt aus Italien – bei Schaumweinen sind es sogar zwei Drittel.» Aktuell seien vor allem Primitivo- und Negroamaro-Weine aus Süditalien gefragt, die eine Restsüsse hätten. Diese Tendenzen würden sich jedoch nicht nur bei italienischem Wein zeigen: «Das Konsumverhalten hat sich nicht nur beim Wein geändert. Die Nachfrage nach Süsse ist in der heutigen Gesellschaft allgemein gestiegen.»
Buntes Publikum
Wer denkt, dass Wein nur etwas für die älteren Generationen ist, liegt falsch. Eine Gruppe junger Männer, alle so schick gekleidet, dass sie besser auf den Zürcher Paradeplatz als in die Bischofszeller Kornhalle passen würden, erbrachte bei der Degustation den Beweis dafür. «Gerne und viel» war die Antwort eines jungen Weinliebhabers auf die Frage, wie sein Trinkverhalten aussehe. Seine Kameraden stimmten alle zu und ergänzten, dass vor allem spanische Weine ihnen Freude machen würden. «Bordeauxs, die älter als ich sind», meinte dann aber der Wortführer der Gruppe zu dieser Aussage. Mit Jahrgang 2001 war das ein Statement, das darauf schliessen lässt, dass er sein Hobby nicht nur in vollen Zügen geniesst, sondern er es sich auch etwas kosten lässt.
Viele der 77 Weine im Degustationsangebot wussten durch ihre Charaktereigenschaften ein ganz bestimmtes Publikum zu überzeugen. Dass ausgerechnet der letzte Wein auf der Liste dem Gaumen des Redaktors am meisten zusagte, kommt nicht von ungefähr. Denn der «Avidagos Grande Reserva Douro» hat es in sich, wie Pedro Tamagnini, der am Event anwesende Winzer des Tropfens erklärte: «Der Wein wird aus acht verschiedenen Rebsorten gewonnen, die 1941 von meinem Urgrossvater gepflanzt wurden.» Wie viele der portugiesischen Rebsorten seien auch seine Trauben früher vor allem für die Produktion von Portwein verwendet worden. Doch mittlerweile habe es sich herumgesprochen, dass aus Portwein-Trauben auch qualitativ hochwertiger Wein gemacht werden kann. Qualität, die in diesem Fall seinen Preis hat, denn mit 63 Franken pro Flasche war die Nummer 77 auch der teuerste Wein im Degustationsangebot.
Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten. Wenn man dies an einer Weindegustation mit Gleichgesinnten tut, dann verspricht dies nicht nur Gaumenfreuden, sondern auch beste Gesellschaft. Und wenn man sich in der vielfältigen Welt des Weins einmal etwas auskennt und eine eigene Definition von gutem Wein geschaffen hat, beginnt man zu verstehen, wieso Wein eine so grosse und enthusiastische Fangemeinde hat. Denn wenn man einen guten Wein trinkt, dann überstrahlt der Genuss alles. Die Sinne übernehmen das Ruder vom Kopf, es werden keine Fragen mehr gestellt, sondern Antworten angehört und gespürt. Und genau dann wird man wissen, was Johann Wolfgang von Goethe einst mit den bekannten Worten meinte: «Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken.»
Von David A. Giger