11.07.2024 07:00
Mein Auto, meine Freiheit
Florian Bösch aus Amriswil ist ein begeisterter Autofan. Seit dem 19. April 2022 darf er seinem Hobby jedoch nur noch theoretisch und nicht mehr praktisch nachgehen. Denn trotz vieler Bemühungen ist es ihm bis heute nicht gelungen, den angeordneten, vorsorglichen Führerausweisentzug rückgängig zu machen. Ein Leitartikel.
Amriswil Wenn Florian Bösch vor seinem roten Toyota Corolla steht, dann drückt seine Freude an Autos trotz der letzten zwei Jahre ohne Führerausweis durch. «Ich bin immer gerne und viel gefahren. Und das 20 Jahre lang ohne einen einzigen Unfall », erzählt er. Als er auf die Gründe zu besprechen kommt, die ihn bis heute vom Autofahren abhalten, verdüstert sich jedoch seine Miene: «Ich verstehe das Ganze nicht. Alles nur, weil ich einen schlechten, schlimmen Tag hatte.»
Der 21. Dezember 2021 war der besagte Tag, an dem sich vieles im Leben von Florian Bösch änderte. Er sei wie üblich mit dem Zug von Amriswil nach Frauenfeld zur Arbeit als Hilfskoch am Kantonsspital Frauenfeld gefahren, doch sei er an diesem Tag durch die «Masken-Triggerei» von Zugführer, Fahrgästen und Mitarbeitern mehr gereizt worden als gewöhnlich: «Es war ein schwieriger Tag, ich merkte, dass ich irgendwie nicht 'im Strumpf' war. Alles lief mir falsch von der Hand und ich nervte mich über mich selbst.»
Obwohl er überhaupt kein aggressiver Mensch sei, habe er an diesem Tag Probleme gehabt, seine Gefühle unter Kontrolle zu behalten. «Irgendwann bemerkte mein Vorgesetzter, dass ich 'rot' sehe, nahm mich zur Seite und sagte mir, ich solle besser nach Hause gehen und mich erholen. Er erkannte, dass ich mit der gesamten Situation und dem zusätzlichen vorweihnachtlichen Stress auch im Geschäft überfordert war.» Sein Chef habe ihm empfohlen, einen Arzt aufzusuchen und sich allenfalls krankschreiben zu lassen. Doch der gute Rat nützte wenig, da sich Florian Bösch noch auf den Heimweg machen musste: «In der Verwirrung nahm ich zwei Abfallsäcke mit, welche ich zuvor hätte entsorgen müssen.»
Mit diesen beiden Abfallsäcken machte er sich schliesslich im Zug auf den Weg nach Hause. Als der Schaffner ihn dann auch noch auf die Maskentragpflicht im Zug aufmerksam gemacht habe, sei alles zu viel geworden. «Ich 'rastete' aus, stand auf, lief durch die Waggons, zog von einem Feuerlöscher die Schutzhülle ab, nahm diese mit, hängte die Corona-Massnahmenplakate im Zug ab, packte alles in meine Abfallsäcke rein und kam schliesslich in der 1. Klasse an – immer verfolgt vom Schaffner», steht in einem Schreiben geschrieben, in dem er die Chronologie seiner Geschichte niedergeschrieben hat. Dann sei er am Bahnhof Weinfelden ausgestiegen, über die Geleise gelaufen und mit einem Regionalzug nach Märstätten gefahren, wo er sich eine Pylone geschnappt und diese als Lautsprecher benutzt habe: «Ich rief durch das 'Megaphone', dass ich protestiere und die Freiheit zurück haben möchte. Niemand nahm Kenntnis von mir, denn es war niemand auf der Strasse.»
Dann ging es wieder zurück nach Weinfelden, denn schliesslich wollte Florian Bösch nach Hause nach Amriswil. Doch im Avec-Shop nahm diese aussergewöhnliche Episode ein jähes Ende. «Ich wollte im Shop wahllos Dinge kaufen und bot auch anderen Kunden Ware an, die ich bezahlen wollte. Plötzlich wurde ich von hinten von einem Mann arretiert.» Dieser habe ihm die Hände hinter den Rücken gezogen und verdreht und habe ihn aus dem Shop auf den Gehsteig geschmissen. «Ich schlenderte Richtung Geleise, wurde jedoch nach wenigen Metern nochmals von diesem Mann von hinten überfallen, bäuchlings auf den Boden gelegt, Hände erneut hinter dem Rücken festgehalten», schildert Florian Bösch die Vorkommnisse. Dann seien zwei Polizisten gekommen, hätten ihn kurz befragt und dann mit auf den Posten genommen. Dort sei er gefühlte 20 bis 30 Minuten von einem Psychiater begutachtet worden und umgehend in die fürsorgerische Unterbringung nach Littenheid überwiesen worden. Nach einem Drogenscreening am nächsten Tag, das negativ ausfiel, habe er von seiner Partnerin trotz «Zwangsmedikation und Zwangspsychiater» abgeholt und nach Hause gefahren werden können: «Ich bestand auf eine umgehende Entlassung, da die Untersuchungen keine handfesten Psychosen oder sonstige geistige Verwirrung ergaben, die sie berechtigten, mich weiterhin gegen meinen Willen zu 'behalten'.»
«Maskenterror» als Auslöser
Florian Bösch ist in Grenchen aufgewachsen, aber seit vielen Jahren in Amriswil zu Hause – so auch während der Corona-Pandemie. Er gibt auch offen und ehrlich zu, dass er mit der ganzen Corona-Situation total überfordert war: «Es war eine sehr schwierige Zeit für mich. Ich wurde auf der Arbeit gemobbt und dann kam auch noch der Maskenterror hinzu!» Er habe sich einfach nicht mit den Masken anfreunden können und sei privat im zivilen Ungehorsam gewesen: «Und wenn ich sie trug, dann bei jeder Gelegenheit unter der Nase und wenn immer möglich unter dem Kinn. Denn ich wusste, dass Masken schädlich sind und sie keine Viren herausfiltern», steht in einem Protokoll geschrieben, das Florian Bösch selbst verfasste. Er sagt auch, dass er nicht nur ein Maskengegner sei, sondern auch ein Massnahmenkritiker, der bei seinem Fall auf die Rückendeckung von der Organisation wethepeople-schweiz.ch zählen könne.
Florian Bösch ist sich auch bewusst, dass er mit dieser Haltung an vielen Orten aneckt. Er glaubt auch, dass es noch einen weiteren Grund gibt: «Ich bin von Geburt an bei der IV gemeldet, da ich zwei Monate zu früh zur Welt gekommen bin. Davon trage ich eine geistige Leistungsschwäche mit.» Diese geistige Beeinträchtigung habe jedoch wenig Einfluss auf sein Leben gehabt, da er weder einen Beistand gebraucht habe, noch bei finanziellen oder anderweitigen Dingen Unterstützung gebraucht habe: «Ich mache alles selbstständig, ich bin nicht auf Hilfe angewiesen.»
Führerausweis ein Stück Freiheit
Florian Bösch hat noch immer sein Auto – es steht vor seinem Zuhause auf einem Parkplatz. Gefahren ist er es seit 19. April 2022 nicht mehr, doch es auszulösen kommt für ihn nicht in Frage, denn glaubt er, dass dies das Wiedererhalten der Fahrerlaubnis in noch weitere Ferne rücken würde: «Ich stelle kein Risiko für den Strassenverkehr dar. Ich bin bis zum Ausweisentzug 20 Jahre unfallfrei gefahren – und das nicht wenig.»
In der Verfügung «Vorsorglicher Entzug des Führerausweises» vom 13. April 2022 steht beim Punkt «Begründung» geschrieben: «Gemäss einem Aktengutachten des IRM St.Gallen vom 13.4.2022 bestehen aufgrund einer psychischen Erkrankung an der Fahreignung von Florian Bösch ernsthafte Zweifel, weshalb der Führerausweis vorsorglich auf unbestimmte Zeit, d. h. bis zum Vorliegen eines positiven verkehrsmedizinischen Gutachtens, entzogen werden muss.»
Dieser Entscheid macht Florian Bösch bis heute richtig zu schaffen. Er bemängelt auch die Diskrepanz in den verschiedenen Polizeiberichten, denn sei im ersten nirgends die Sprache von einem Fahrzeug. Aber sein Auto sei der Grund, wieso er jetzt ein «positives verkehrsmedizinisches Gutachten» erhalten muss, für das ein Kostenvorschuss von 1000 Franken nötig sei. «Ich hatte bereits ein solches Gespräch, doch dieses wurde abgebrochen, da ich trotz eines Attests zur Befreiung von der Maskenpflicht aufgefordert wurde, eine zu tragen. Dafür habe ich dann 250 Franken bezahlt – die restlichen 750 wurden mir rückerstattet.» Obwohl es schon lange keine Maskenpflicht mehr gibt und Florian Bösch seit diesem Vorfall psychisch stabil blieb, hat er doch grossen Respekt vor einer weiteren Untersuchung. Denn der Führerausweis-Entzug war für ihn ein traumatisches Erlebnis. «Ich hatte auch als IV-Beeinträchtigter meine Freiheit. Jetzt entziehen sie mir meine Freiheit, meine Würde und meine Selbstständigkeit», meinte er in einem Schreiben als direkte Reaktion auf den Erhalt des Schreibens zum vorsorglichen Entzug des Führerausweises.
Dass der Führerausweis für Florian Bösch mehr ist als ein praktischer Alltagshelfer, zeigt auch die Geschichte, wie er zu diesem gekommen ist. «Den Führerausweis zu erhalten war ein Kampf. Ich hatte über 100 Fahrstunden und bin viel mit meinem Vater gefahren – doch Aufgeben kam für mich nicht in Frage», erzählt er. Die Zeit und das Geld, die er in seine Fahrausbildung investierte, zahlten sich dann schliesslich auch aus: Er bestand die Prüfung im vierten Anlauf.
Ein Hilferuf
Florian Bösch ist höflich und wirkt sehr pflichtbewusst. Darum war es gar nicht so einfach, einen Termin mit ihm zu vereinbaren, der nicht mit seiner neuen Tätigkeit als Hilfskoch an seinem neuen Arbeitsplatz in Amriswil in Konflikt kam. Er ist sich auch absolut bewusst, dass er an diesem schicksalhaften Tag anders hätte reagieren müssen, dass er mit der Situation total überfordert war und schneller Hilfe hätte ersuchen müssen. Was er jedoch nicht versteht, ist, wieso ihm der Führerausweis entzogen wurde, obwohl er mit dem Zug unterwegs war: «Wenn es wirklich so schlimm wäre, dann dürfte ich ja wohl nicht einmal mehr mit dem Velo fahren.»
Das Einzige, was er will, ist einen Weg zu finden, um seinen Führerausweis zurückzukriegen. Dies sei jedoch im Moment nicht möglich, da er von Seiten der Behörden abgestempelt sei: «Wenn man den IV- und den Corona-Schwurbler-Stempel hat, dann bleiben viele Türen verschlossen.»
Die erste E-Mail von Florian Bösch erhielt ich am 30. Mai 2024. In diesem schrieb er: «Ich habe den Artikel gelesen vom 23. Mai 2024 über das Justizopfer Familie Diribas. Und zwar, ich zitiere «kann das Teilen der eigenen Geschichte hilfreich sein, (...) und in dieser Zeitung soll es Platz für solche Fälle geben.» Weiter meinte er, dass er sich sehr freuen würde, wenn auch seine Story einen Platz in der Zeitung hätte.
Nach einem ersten Telefongespräch war klar, dass dies der Fall sein wird. Es kristallisierte sich im Verlauf der Geschichte auch immer mehr heraus, dass hier mit keinerlei Böswilligkeit gehandelt wurde, sondern jemand einfach mit einer Situation überfordert war. Jeder hat einmal einen schlechten Tag, macht ab und zu einen Fehler und stösst einmal in seinem Leben an seine Grenzen. Dass man für seine Handlungen Verantwortung übernehmen muss, auch wenn sie aus der Überforderung heraus geschehen, ist unbestritten. Dass man jedoch aufgrund eines Fehltritts, bei dem niemand zu Schaden gekommen ist und wohl auch niemand ausser Florian Bösch selbst gefährdet war, ein Leben lang auf ein Stück Freiheit verzichten muss, scheint übertrieben.
Ich zumindest hätte keinerlei Bedenken, mich ins Auto von Florian Bösch zu setzen – wäre er im Besitz eines Führerausweises, versteht sich. Doch die Entscheidung liegt nicht bei mir, sondern bei den Verkehrsmedizinern, die ein Gutachten erstellen werden. Was Florian Bösch sich von diesen wünscht, ist nicht eine Sonderbehandlung, sondern im Gegenteil – eine Normalbehandlung: «Alles, was ich will, ist eine faire Chance, meinen Führerausweis zurückzuerhalten.»
Von David A. Giger