20.06.2024 15:15
Mit Halbdampf voraus
In Zeiten von ständigem Fortschritt und nie zuvor gesehener Geschwindigkeiten braucht es ab und zu etwas Entschleunigung. Bei einem Ausflug auf der Hohentwiel ist eine solche garantiert, denn auf dem historischen Schiff geht es höchstens mit Halbdampf voraus.
Bodensee Obwohl es bei der Inbetriebnahme der Hohentwiel im Jahr 1913 die Auflage gab, dass das Dampfschiff mindestens mit einer Geschwindigkeit von 28 km/h fahren kann, sind diese «Raserzeiten» längst Geschichte. Denn das Dampfschiff hat heute ganz andere Prioritäten als früher, als es noch ein normales Kursschiff des ÖV war. «Wir fahren heute nur noch im Sparkurs. Obwohl das Schiff eine Maximalgeschwindigkeit von 31 km/h fahren könnte, sind wir nie schneller als mit 22 km/h unterwegs», erklärt Oberkapitän Robert Kössler während einer Ausfahrt vorletzte Woche.
Seit ihrer Indienststellung am 1. Mai 1913 hat das Dampfschiff Hohentwiel schon einiges erlebt. Dass es sie heute noch gibt – und vor allem in fahrtüchtigem und aufpoliertem Zustand – ist das Verdienst einer Gruppe von Nostalgikern, die sich im Verein Internationales Bodensee-Schifffahrtsmuseum (IBSM) zusammengeschlossen haben. «Der Verein IBSM hat rund 2'100 Mitglieder, wovon rund 1'700 aus der Schweiz kommen. All diese Mitglieder wollen das Schiff ideell mittragen», erklärt Kurt Reich, der Präsident des IBSM.
Für den Rorschacher ist die Hohentwiel ein Herzensprojekt, für das er sich mit viel Leidenschaft engagiere. Als ehemaliger Leiter des kantonalen Schifffahrtsamtes St.Gallen und Geschäftsführer der Schifffahrtsbetriebe Rorschach habe er auch den richtigen Rucksack dafür: «Grundsätzlich kämpft die kommerzielle Schifffahrt überall mit den gleichen Problemen. Ein ganz grosses ist mit Sicherheit die Wetterabhängigkeit.»
Ein Verein der Nostalgiker
Am Freitag, 7. Juni, stand der Höhepunkt des IBSM-Vereinsjahrs auf dem Programm. Denn eine Jahresversammlung sei immer auch mit einer Schiffsfahrt verbunden, erzählt Kurt Reich: «Früher haben wir die Jahresversammlung noch auf dem Boot abgehalten. Doch aufgrund der Mitgliederzahlen und unbeständigem Wetter sind wir aufs Land ausgewichen.»
Dennoch werden die drei Ausfahrten im Rahmen der Jahresversammlung auch am Nachmittag des 7. Junis rege genutzt. Und dies nicht nur, weil die Fahrt für Vereinsmitglieder gratis ist und sie an Board ein Cüpli oder Bier offeriert bekommen, sondern weil ein Besuch in einem fahrenden Museum bei Sonnenschein ein besonderes Erlebnis ist. Denn die Hohentwiel ist mit ihren knapp 57 Metern kein normales Schiff: Sie ist der einzige Schaufelraddampfer auf dem Bodensee und eine Jugendstil-Schönheit, die selbst James Bond in ihren Bann zog: «Ein Quantum Trost» aus dem Jahr 2008 spielt teilweise auf dem attraktiven Dampfschiff.
Kein billiger Spass
Um ein historisches Gefährt wie die Hohentwiel in Schuss zu halten, ist nicht nur viel ehrenamtliches Engagement von den Vereinsmitgliedern gefordert, sondern auch finanzielles. «Allein für die Instandhaltung rechnen wir mit rund 100'000 Franken pro Jahr», erklärt Kurt Reich. Deshalb sei die Instandhaltung der Hohentwiel auch Aufgabe des Vereins und nicht der Betriebsgesellschaft Historische Schifffahrt Bodensee GmbH (HSB), die seit dem 1. Juni 2021 für den Betrieb des Dampfschiffs Hohentwiel und das 2019 restaurierte Motorschiff «Oesterreich» zuständig ist. Doch die Instandhaltung der Hohentwiel stelle den Verein noch vor ganz andere Herausforderungen, erklärt Kurt Reich: «Es wird immer schwieriger, Ersatzteile zu finden. Wir mussten darum erst kürzlich einen Techniker aus Hamburg einfliegen, damit er an drei Tagen eine Installation im Maschinenraum vornehmen konnte.»
Doch auch die HSB, die für Gastronomie und Nautik zuständig ist, wird von der Hohentwiel gefordert. «Wir brauchen sechs Mann Besatzung. Es ist alles extrem teuer auf der Hohentwiel, so dass ein Betrieb ohne den Verein unmöglich wäre», erzählt Kurt Reich. Zumindest könnten seit der Umrüstung des Motors von Kohle auf Heizöl im Jahr 1962 zwei weitere Arbeitskräfte eingespart werden: «Früher brauchte es noch zwei Kohleschaufler, somit eine acht Mann Besatzung. Für eine Fahrt von Bregenz nach Konstanz mussten damals noch sechseinhalb Tonnen Kohle geschaufelt werden.»
Ein Luxusdampfer
Obwohl die Hohentwiel unter österreichischer Flagge fährt, ist sie doch ein Schweizer Qualitätsprodukt. Denn wie viele andere Boote auf dem Bodensee aus jener Zeitepoche wurde auch sie von der Werft Escher Wyss & Cie in Zürich gebaut und dann zerlegt nach Friedrichshafen transportiert. Da beim Bau der Hohentwiel besonderes Augenmerk auf Qualität und Schönheit gerichtet wurde, ist sie heute sehr pflegebedürftig. Es gibt nicht nur viel zu polieren, sondern auch der Escher Wyss Motor wird im Halbstundentakt kontrolliert und wenn nötig geölt. Und alle paar Jahre muss sie auch von unnötigem Ballast befreit werden: So geschehen vor rund drei Jahren, als vom Schiff rund drei Tonnen Quaggamuscheln entfernt wurden. Aber immerhin habe die Hohentwiel seit ein paar Jahren ein eigenes «Pyjama», eine Blache, die über das Schiff gespannt werde während sie von Ende Oktober bis April im Heimathafen in Hard liege. «Man hätte das schon vor 30 Jahren machen müssen. So hätten wir uns viel Arbeit ersparen können», sagt Kurt Reich.
Für die Vereinsmitglieder macht dies jedoch am heutigen Tag keinen Unterschied. Dass die Ausfahrt von ihnen sichtlich genossen wird, liegt nicht nur am schönen Wetter und einmaligen Ambiente auf dem Schiff, sondern wohl eben auch daran, dass es für viele eine Art Heimatbesuch ist. Vereinspräsident Kurt Reich macht keinen Hehl daraus, dass es die Hohentwiel nur wegen ihres Engagements noch gebe: «Jedem Mitglied gehört ein Stück des Schiffs.»
Von David A. Giger
Weitere Informationen zum Schiff, Verein und Ausfahrten unter:
www.hohentwiel-verein.ch
www.hs-bodensee.eu