Yasmin Giger ist bereit für die Olympischen Spiele in Paris. tb
18.07.2024 08:00
Dank Leistungsexplosion nach Paris
Leichtathletin Yasmin Giger hat zuletzt gleich zweimal eine neue persönliche Bestzeit aufgestellt
Im letzten Wettkampf der Qualifikationsperiode unterbot Yasmin Giger die Olympia-Limite. Die 24-Jährige Ostschweizerin wird in Paris sicher in ihrer Einzeldisziplin über die 400m Hürden im Einsatz stehen, dazu wohl auch mit der Staffel über die gleiche Distanz ohne Hindernisse.
Leichtathletik «Es kam sehr überraschend, aber umso erfreuter war ich, dass ich die Olympia-Limite unterboten habe», sagt Yasmin Giger. Ende Juni lief sie in 54,77s die 400m Hürden erstmals unter 55s, blieb damit acht Hundertstelsekunden unter der Olympia-Limite und gar deren 28 unter ihrer bisherigen persönlichen Bestleistung (PB). Dabei hatte sie diese erst wenige Wochen zuvor an der Europameisterschaft in Rom bereits um zwei Zehntelsekunden verbessert. Wie erklärt sich die Ostschweizerin diesen Leistungssprung? «Ich sehe die Zeiten als Ergebnis meiner harten und geduldigen Arbeit. Natürlich bin ich mega erleichtert, konnte ich endlich schnellere Zeiten laufen, nachdem ich drei Jahre lang auf eine PB warten musste», erzählt Giger. Die vergangenen Jahre wurde die 24-Jährige, die als Juniorin grosse Erfolge feierte, immer wieder von Verletzungen eingebremst. «Es waren meist kleinere muskuläre Probleme. Aber diese verhinderten jeweils eine ungestörte Saisonvorbereitung», berichtet die Athletin. In diesem Winter habe sie erstmals seit langem beschwerdefrei und durchgehend trainieren können, was viel zu den guten Leistungen der letzten Wochen beigetragen habe. Dank diesen hat sich die Hürdenspezialistin für die Olympischen Spiele qualifiziert, die vom 26. Juli bis 11. August in Paris stattfinden.
Der Traum vom Halbfinale
Da die Leichtathletik-Wettkämpfe traditionell in der zweiten Wettkampfwoche über die Bühne gehen, ist Gigers Abreise erst für Ende Monat geplant. «Würde sie an der Eröffnungsfeier teilnehmen wollen, müsste sie früher anreisen und dies selbst organisieren», erklärt ihr Bruder Zaafir Giger, der seine Schwester im organisatorischen Bereich unterstützt. Sie wolle die Zeit lieber für einen zusätzlichen Trainingsblock nutzen, erklärt die Läuferin: «Ich kann ja dann an der Schlussfeier teilnehmen.» Für Giger werden es nach Tokio die zweiten Olympischen Spiele, wobei die wegen Corona auf 2021 verschobenen Wettkämpfe in Japan ohne Publikum ausgetragen werden mussten. In der französischen Hauptstadt wartet entsprechend ein ganz anderes Erlebnis auf die Ostschweizerin, die ihre sportlichen Ziele für Paris über die Zeit und nicht über eine Rangierung definiert: «Ich möchte beweisen, dass die gelaufenen Zeiten keine Ausreisser waren. Als Sportlerin nimmt man sich immer vor, eine PB zu laufen.» Um über die 400m Hürden unter die besten Sechszehn und damit in die Halbfinals vorzustossen, benötige sie sicherlich eine Zeit im Bereich ihrer PB. Den 4. August mit den Vorläufen in ihrer Spezialdisziplin hat sie sich auf jeden Fall dick im Kalender eingetragen, die Halbfinals finden zwei Tage später statt.
Weitere Einsatzmöglichkeiten
Doch die Frau mit Wurzeln in der Dominikanischen Republik hat in Paris nicht nur Einzelwettkämpfe vor sich. Sie hat gute Chancen, auch in der 4x400m-Staffel der Frauen sowie in der 4x400m-Staffel Mixed eingesetzt zu werden. Das Frauenteam hat sich an der Staffel-WM auf den Bahamas mit Giger als Schlussläuferin einen Startplatz gesichert. Welche vier Läuferinnen in Paris das Schweizer Team bilden, entscheiden die Trainer allerdings erst vor Ort. «Die Form stimmt und an der EM bin ich eine gute Staffel gelaufen. Daher bin ich zuversichtlich, aber jede Athletin kann sich aufdrängen. Gesetzt ist niemand», erklärt Giger. Auch für die Mixed-Staffel rechnet sie sich Chancen aus, wobei dort nur zwei Startplätze durch Frauen besetzt werden. Vor der Abreise nach Paris und nach dem letzten Wettkampfstart am Dienstag am Meeting in Luzern möchte sich Giger mit ihrem Team des LC Zürich und Trainer Flavio Zberg in einem weiteren Trainingsblock im Letzigrund den letzten Schliff für Paris holen. Dem Zürcher Verein schloss sich die Ostschweizerin 2019 an, nachdem sie davor bei Amriswil Athletics unter Trainer Werner Dietrich ihre ersten sportlichen Erfolge gefeiert hatte, darunter der U20-Europameistertitel 2017 oder WM-Bronze ebenfalls bei der U20 im Jahr danach jeweils über die 400m Hürden. Seit sie sich dem LC Zürich angeschlossen hat, ist Giger Wochenaufenthalterin. 2012 war sie mit ihrer Familie nach Romanshorn umgezogen, weil dort die sportlichen Voraussetzungen für die beiden Kinder besser waren. Bruder Zaafir strebte eine Fussballerkarriere an, spielte unter anderem für den SC Brühl in der Promotion League oder für den FC Gossau in der 1. Liga. Die jüngere Schwester hatte es nicht so mit Ballsportarten, sondern wählte einst Leichtathletik als neue Sportart, als ihre Ballett-Trainerin aufhörte. Während der Bruder seine sportliche Karriere beendet hat, ist Yasmin nun auf dem vorläufigen Höhepunkt angekommen.
Lea Sprunger als Vorbild
Während der Bruder seine sportliche Karriere beendet hat und Fussball nur noch als Hobby betreibt, ist Yasmin nun auf dem vorläufigen Höhepunkt angekommen. Doch was ist für die 24-Jährige noch möglich? «Meine Technik über die Hürden ist sicher noch nicht perfekt. Ich werde meinen Trainer fordern, damit er weitere Verbesserungsmöglichkeiten ausfindig macht», sagt Giger. Liegt gar der Schweizer Rekord von Lea Sprunger in Reichweite, der bei 54,06 und damit sieben Zehntel unter Gigers neuer Bestmarke liegt? «Ich möchte erstmal bei mir bleiben und meine Zeiten bestätigen, bevor ich an so etwas denke. Aber Lea ist auf jeden Fall ein super Vorbild», sagt Giger. Gemeinsam trugen die beiden 2021 an den Olympischen Spielen zum aktuellen Schweizer Rekord über 4x400m bei. «Ihre Leistungen waren sehr inspirierend», hält die Romanshornerin fest. Vielleicht werden dies dereinst auch Nachwuchsathletinnen über Yasmin Giger sagen.
Von Tobias Baumann