31.08.2023 16:16
Auch Fische wollen wandern
Am Mittwoch, 23. August, lud der WWF zu einem Event nach Sitterdorf. Um das Thema «Fluss frei für den Lachs» möglichst anschaulich zu präsentieren, wurde das Stauwehr unterhalb der Eisenbahnbrücke zum Austragungsort des Anlasses erkoren.
Sitterdorf Das Stauwehr in Sitterdorf ist ein gutes Beispiel dafür, wieso es viele Fische in unseren Gewässern nicht einfach haben. Um das Wasser in die Turbinen des Kleinkraftwerks zu leiten, versperrt ein Wehr dem Sitterwasser den natürlichen Lauf. Dies ist jedoch keine Seltenheit, wie der Webseite von «FLUSS FREI», einem Projekt von Aqua Viva, zu entnehmen ist: «Die Schweizer Flüsse sind die am stärksten verbauten Gewässer der Welt. Über 100´000 Schwellen und Wehre hindern Fische an der Wanderung zu ihren Laichgebieten.»
Die Nichtregierungsorganisation Aqua Viva versteht sich als Anwältin der Gewässer. Auf der Webseite der unabhängigen Gewässerschutzorganisation wird ihr wichtigstes Anliegen folgendermassen formuliert: «Siedlungs- und Strassenbau, Wasserkraftnutzung und Landwirtschaft beeinträchtigen immer wieder die ökologische Qualität von Gewässerlebensräumen. Aqua Viva schaut genau hin und vertritt konsequent die Interessen unserer heimischen Bäche, Flüsse, Seen, Moore und Auenlandschaften.»
Kein Wunder also, dass sich Aqua Viva auch mit Lachsen beschäftigt. Denn auch in der Schweiz gab es einst Lachse. Seit nunmehr 60 Jahren sind sie jedoch in der ganzen Schweiz ausgestorben. Doch es wäre gut möglich, dass auch am Austragungsort des WWF-Events unterhalb der Eisenbahnbrücke in Sitterdorf einst Lachse gelebt haben.
Zu diesem Schluss kam zumindest die Sitterkommission in einer vor rund zehn Jahren veröffentlichten Studie. Dort heisst es: «Da die Thur in ihrem ursprünglichen Zustand ein grösseres Lebensraumpotenzial aufgewiesen hat und auch die Arten der Forellenregion vorkamen, ist davon auszugehen, dass die ursprüngliche Artenzusammensetzung in der Sitter ein Ausschnitt der Fischbesiedlung aus der Thur war.» Zu den 26 Fischarten, die in der Thur auf einer Strecke von rund zehn Kilometern unterhalb der Sittermündung anzutreffen waren, gehörte nebst dem Aal auch der Lachs: «Für den Aal ist ein Vorkommen in der Sitter belegt, für den Lachs ist dies zumindest sehr wahrscheinlich, da er in der Thur bis mindestens zur Glattmündung im Raum Untertoggenburg vorgedrungen ist.»
Zu viele Hindernisse
Auf dem kurzen Fussmarsch vom Bahnhof Sitterdorf zum Austragungsort der Veranstaltung, die von WWF und Aqua Viva zusammen organisiert wurde, verriet GinaMühlegg bereits das Ziel des Events: «Wir werden heute herausfinden, was es alles braucht, dass der Lachs wieder in die Schweiz kommen kann.» Das Teammitglied von Aqua Viva sorgte dann kurze Zeit später dafür, dass zumindest vorübergehend ein Lachs in seine ehemalige Heimat zurückkehrte. Denn mit «Erwin», dem Plastiklachs, machte sie allen Teilnehmern deutlich, wie ein Atlantischer Lachs überhaupt aussieht und wie gross er ist: «Ein ausgewachsener Lachs kann bis 150 Zentimeter gross werden. Dies ist jedoch die Ausnahme, denn erreichen nur Lachse, die zwei Mal laichen, eine solche Grösse.»
Anhand verschiedener Spiele wurde dann der natürliche Kreislauf der Lachse thematisiert und das grosse Problem der Hindernisse angesprochen. «Grundsätzlich wandern alle Fische – manche mehr, manche weniger. Darum ist es wichtig, dass wir unsere Flüsse miteinander vernetzen», erklärte Gina Mühlegg. Dies sei jedoch leichter gesagt als getan, denn würden hier in der Schweiz über 100'000 Hindernisse Fische vom freien Wandern abhalten.
So könnte das Ende der Lachspopulation in der Sitter auch durch ein solches unüberwindliches Hindernis hervorgerufen worden sein. Denn der Felsrücken flussabwärts der Sitterbrücke, auf dem das Wehr Bischofszell errichtet wurde, ist weit höher als der halbe Meter, den ein Lachs noch überwinden kann.
Faszinierende Lachse
Lachse sind absolut faszinierende Fische, die das Wandern in die Wiege gelegt bekommen. Auf der Webseite des WWF ist dieser Kreislauf ausführlich beschrieben, hier sollen nur die wichtigsten Stationen erwähnt werden.
Der Kreislauf beginnt kurz nachdem ein Lachsweibchen ihre Eier – bis zu 30'000 – in eine selbst gegrabene Grube gelegt hat. Denn sobald das Männchen die Eier befruchtet hat, wird die Grube auf kiesigem Boden wieder geschlossen und der Kreislauf einer neuen Generation Lachse nimmt seinen Anfang.
Nach maximal zwei Jahren sind die jungen Lachse stark genug, um den gefährlichen Weg ins Meer auf sich zu nehmen. Diese Reise kann bis zu einem Jahr dauern. Die Anzahl der Tiere wird nun nochmals stark dezimiert, denn Raubfische und Vögel machen nicht nur in den kleinen Flüssen Jagd auf Junglachse.
Sobald der Lachs das Meer erreicht, wird er aufgrund der Veränderung seiner Farbe als «Silberlachs» bezeichnet: «Im Meer müssen sich die Fische zuerst an das Salzwasser gewöhnen. Ihr Körper durchläuft erneut Veränderungen, auch ihre Ernährung passt sich an: Kleinkrebse, Tintenfische und Fische stehen nun auf dem Speiseplan.»
Nach drei bis fünf Jahren im Meer machen sich die Lachse wieder auf den Heimweg – sofern dieser nicht durch Hindernisse versperrt ist. Ohne Nahrung schwimmen die Tiere zurück zu ihrem Geburtsort, um dort selbst Nachkommen zu zeugen. Die meisten Lachse sind nach dieser langen Reise, die bis zu einem Jahr dauert, so erschöpft, dass sie nach dem Laichen an Entkräftung sterben.
Eine Frage, welche die Wissenschaft lange beschäftigte, war jene, wie es Lachse nach einer Tausenden von Kilometern langen Reise durch Flüsse und Meere schaffen, wieder an ihren Geburtsort zurückzukehren. Erst vor rund zehn Jahren konnten Biologen aus Nordamerika nach der Analyse von Daten von fast 60 Jahren Lachswanderung beweisen, das Rotlachse sich am Erdmagnet-Feld orientieren. Auch Meeresschildkröten finden so zurück an den Strand, an welchem sie einst geschlüpft sind. Und die Gemeinsamkeiten hören hier nicht auf, denn sowohl beim Lachs als auch bei der Meeresschildkröte schafft es durchschnittlich nur eins von 1000 Tieren zurück an seinen Geburtsort, um den Kreislauf zu vollenden.
Baldiges Comeback?
Wird es bald wieder Lachse in Schweizer Flüssen geben? Der WWF hofft, dass es im Jahr 2030 ein Comeback des Lachses im Rhein, dem grössten Lachsfluss Europas gibt: «Aktuell stehen der Rückkehr des Lachses in die Schweiz nur noch drei Kraftwerke zwischen Strassburg und Basel im Weg - und diese werden in den nächsten Jahren ebenfalls mit Fischtreppen ausgestattet. Die politischen Weichen sind gestellt, um unsere Gewässer wieder aufzuwerten und dem Lachs die Rückkehr zu ermöglichen.»
Obwohl die Bestrebungen für ein Comeback des Lachses in der Schweiz seit vielen Jahren auf Hochtouren laufen, gibt es noch viele andere Faktoren, die ebenfalls eine entscheidende Rolle bei seiner Rückkehr spielen. Insbesondere die Klimaerwärmung könnte einen nicht unwesentlichen Faktor spielen, gehören die Lachse doch zu den Kaltwasserfischen. Darum und weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass in absehbarer Zukunft auch die Zuflüsse des Rheins wieder frei bewanderbar sind, bleibt es wohl doch Wunschdenken, dass bald wieder Lachse in Sitter und Thur schwimmen. Leider.
Von David A. Giger
Weitere Informationen unter:
www.wwf.ch
www.aquaviva.ch
www.flussfrei.ch