24.08.2023 11:11
Vielen Dank für die Blumen
Es gibt sie auch im Sommer: Voll in der Blüte stehende Blumenwiesen. Wieso dieser Augenschmaus oftmals nicht natürlich zustande kommt, erklärten letzten Freitag, 18. August, Vertreter:innen vom Thurgauer Obstverband, Pro Natura Thurgau und ökohum bei einem Blühstreifen in Egnach.
Egnach Der heisse Sommer macht nicht nur uns Menschen zu schaffen, sondern auch der Tierwelt. Damit Bienen, andere Insekten und kleine Tiere auch während der heissen Monate eine Nahrungsquelle und einen Rückzugsort haben, wurde das Projekt «Blumenwiesen im Obstgarten» lanciert. Dieses ist nicht nur nach Meinung der Initianten und Teilnehmer des Projekts eine Erfolgsgeschichte, sondern auch die vielen Bienen, Wespen und Fliegen, die sich an den Blumen im Blühstreifen in Egnach tummeln, sind Beweis dafür.
Farbtupfer im Grünen
Schon von weit her sind die Farbtupfer auszumachen, die auf einer Strecke von rund 50 Metern entlang einer Landstrasse in Egnach verteilt sind. Erst aus kurzer Distanz wird jedoch klar, dass hier die beste Künstlerin von allen, die Natur, am Werk ist. Denn im Hochsommer auf eine blühende, bunte Wiese voller geschäftiger Insekten zu treffen, ist selbst im Oberthurgau keine Selbstverständlichkeit.
Wenn die Obstbäume nicht mehr in Blüte sind, dann dominiert die Farbe Grün. Dies heisst nicht nur Eintönigkeit, sondern auch weniger Nahrung für wichtige Nützlinge. Und genau diese Nahrungsknappheit im Sommer ist der Hauptgrund, wieso das Projekt «Blumenwiesen im Obstgarten» lanciert wurde. «Wir haben letztes Jahr den Versuch gestartet, Thurgauer Obstbauern zu motivieren, neben ihren Plantagen Blühstreifen anzulegen. Sowohl letztes als auch dieses Jahr haben rund 30 Thurgauer Produzenten mitgemacht», erklärt Stefan Anderes vom Thurgauer Obstverband.
Vieles sei dieses Jahr gleich geblieben, jedoch habe es beim Projekt, das vom Thurgauer Obstverband, Pro Natura Thurgau und ökohum initiiert wurde, auch einige Veränderungen gegeben: «Die Saatmischung bestand im ersten Jahr ausschliesslich aus einjährigen Typen. Diese Mischung wurde von ökohum angepasst und um mehrjährige einheimische Pflanzen ergänzt.»
Dies sei nicht nur ein Schritt in Richtung Langfristigkeit des Projekts, sondern man tue so noch mehr Gutes für die Natur, sagt Kathrin Wittgen, Projektleiterin der Aktion Hase & Co. von Pro Natura Thurgau: «Mehrjährige Pflanzen haben den Vorteil, dass sie Insekten und anderen kleinen Tieren auch im Winter einen Rückzugsort und eine Überwinterungsmöglichkeit bieten.»
Blühstreifen in Egnach
Der Blühstreifen in Egnach wurde von Baumschulist Willy Scherrer neben einem Feld von Jungbäumen angelegt: «Ich habe Mitte Mai gesät und musste wegen des vielen Regens richtig zielen, dass es doch noch klappt.» Er habe im letzten Jahr schon an einem anderen Ort mit einer anderen Saatmischung Erfahrungen gesammelt, sei aber vom jetzigen Resultat überzeugt; auch wenn die Bedingungen dieses Jahr alles andere als ideal gewesen sind: «Problematisch war nicht nur der viele Regen im Frühling, der den Zeitpunkt für die Aussaat erschwerte. Sondern auch der trockene Juni hat dazu geführt, dass ich die Wiese zweimal tränken musste.»
Allen Projektteilnehmern wird das Saatgut kostenfrei zur Verfügung gestellt. Direkten finanziellen Nutzen zieht aus den Blühstreifen jedoch niemand, erklärt Christoph Weiss, Berater Obst- und Weinbau bei der ökohum GmbH: «Die Wiesen, dieDirektzahlungen erhalten, blühen meistens im Frühling. Aufgrund der Grösse und anderer Vorgaben qualifizieren sich unsere Blumenwiesen nicht für Direktzahlungen.»
Für Willy Scherrer ist der grosse Aufwand jedoch kein Grund, dem Projekt den Rücken zu kehren: «Ich habe ein super Echo aus der Bevölkerung. Darum werde ich die Wiese im November mulchen und dann lasse ich mich überraschen, was nächstes Jahr wächst.»
Nutzen durch Nützlinge
Den Nutzen der Blumenwiesen im Obstgarten in Zahlen auszudrücken, ist schwierig. Denn es gibt keine Untersuchungen zum Einfluss von Blühstreifen auf den Ertrag von Obstplantagen. Trotzdem lohne sich das Anlegen einer Blumenwiese, auch wenn diese nur ein paar Quadratmeter gross ist, sagt KathrinWittgen: «Der Nutzen ist sehr gross. Nicht nur bei der Bestäubung gibt es Vorteile, sondern vor allem auch in der natürlichen Schädlingsbekämpfung durch die Anwesenheit von Raubmilben, Ohrwürmern, Raubwanzen, Schlupfwespen und vielen anderen Arten.»
Obwohl für alle Blühstreifen im Kanton Thurgau die gleiche Saatmischung verwendet wird, wird kein Blühstreifen wie der andere sein, erklärt Christoph Weiss: «Die Pflanzen werden sich an die jeweiligen Standorte anpassen. Einige passen besser an diesen Standort, andere an einen anderen.» Der Nutzen sei jedoch an allen Standorten gross, denn führe das Pflanzen von einheimischen Öko-Typen auch zu einer Aufwertung des Bodens. Und dies, selbst wenn er in der Zukunft anderweitig genutzt werde. «Wir sind ein landwirtschaftlich intensiv genutzter Kanton. Die Blühstreifen bieten eine gute Möglichkeit, etwas für die Natur zu tun, auch wenn dies auf kleinsten Raum geschieht», sagt Christoph Weiss.
Je mehr, desto besser
Die Vielfalt an verschiedenen Pflanzen und Blüten auf dem Blühstreifen in Egnach ist gewaltig. Kerbel,Kamille, Buchweizen, Eisenkraut, Mohn, gelbe Reseda, Esparsetten, Phacelia, verschiedene Klee-Arten, Wilder Kümmel, Wilde Möhre und Wilder Senf sind nur einige Arten, die identifiziert werden konnten. Da es auf den ganzen Kanton verteilt mittlerweile über 4'000 Quadratmeter sind, die als Blühstreifen genutzt werden, dürfte die Liste aller einheimische Öko-Typen noch einiges länger sein.
Alle Projektinitianten haben dennoch die Hoffnung, dass diese Fläche stetig wachsen wird. Denn es gebe noch viele Flächen, an denen sich der Anbau von anderen Kulturen einfach nicht lohnen würde. Doch der Nutzen von Blumenwiesen sei schon da, auch wenn nur zwei Quadratmeter für die Blumen zur Verfügung gestellt werden.
Stefan Anderes ist aufgrund der bisherigen Erfahrungen zuversichtlich, was die Zukunft des Projekts betrifft: «Man muss allen teilnehmenden Produzenten ein 'Kränzli' winden. Denn all die Arbeit und Zeit, die sie in das Projekt stecken, geschieht auf freiwilliger Basis.»
Von David A. Giger